Gastbeitrag von Prof. Martin Eigner und Christian Muggeo, Lehrstuhl VPE TU Kaiserslautern
Das Internet der Dinge und darauf basierende Forschungsinitiativen des BMBF (>> Industrie 4.0, Digitalisierung / Internet-basierte Dienstleistungen/ Engineering 4.0) gehen in der Zukunft von vernetzten Produkten, Systemen und Dienstleistungen aus. Der wertmäßige Anteil an Elektronik und Software wird bei dieser Art von Produkten und eingebetteten Dienstleistungen kontinuierlich steigen.
Kommunizieren Produkte miteinander, wird von Cyber-Physical Systems bzw. Cybertronischen Systemen gesprochen. Die Entwicklung dieser neuen Systeme wird mehrere Konsequenzen nach sich ziehen: interdisziplinäre und integrierte Produktentwicklung, ein Überdenken heutiger Konstruktionsmethoden, Prozesse, IT-Lösungen und Organisationsformen sowie die Forderung nach durchgängigen Prozessketten basierend auf digitalen Modellen in der Produktentwicklung, Produktionsplanung, Produktion und Service.
Weiterhin müssen Planungs- und Entwurfsmethoden aller Disziplinen – Mechanik, Elektronik und Software –auf den Prüfstand gestellt und ihre Tauglichkeit für ein neues Vorgehensmodell der Produkt- und Produktionsentwicklung überprüft werden, um diese in einen gemeinsamen, integrierten und interdisziplinären Methoden-, Prozess- und IT-Lösungsansatz zu überführen. Im Zentrum dieser Veränderungen in der Produkt- und Prozesswelt steht Product Lifecycle Management – sozusagen als Skelett eines durchgängigen digitalisierten Produktlebenszyklus (PLZ) -, die über den gesamten PLZ, über alle Disziplinen, über verteilte Standorte sowie über die gesamte Zulieferkette die Basis für ein digitales Produkt-, Produktions- und Prozessmodell darstellen.
Die Digitalisierung bedeutet einen Transformationsprozess, der die klassischen Grenzen einer fragmentierten und konkurrierenden IT-Lösungswelt neu ordnet. Als durchgängiger Backbone wird ein Digital Engineering Backbone die Rolle der Daten- und Prozessintegration zwischen der Produkt- und Produktionsentwicklung, der Produktion/Fertigung und Montage sowie dem Service einnehmen.
Die Komplexität heutiger PLM-Architekturen und Einführungsstrategien ist bereits sehr hoch und die zu erwartende weitere Zunahme durch cybertronische Produkt- und Produktionssysteme wird diesen Trend verstärken. Die Nachvollziehbarkeit über den gesamten Produktlebenszyklus, über die Disziplinen und die Lieferkette muss jederzeit gewährleistet sein, um den Engineering Prozess zu beherrschen und zu dokumentieren. Als Erweiterung von PLM sehen wir (VPE) das System Lifecycle Management (SysLM) als nächsten Schritt.
SysLM ist das Engineering-Backbone-Konzept für Produktentwicklung und Lifecycle Management im Rahmen des Industrial Internet und für integriertes und interdisziplinäres Model-Based Systems Engineering (MBSE), Product Line Engineering (PLE) und Service Lifecycle Engineering (SLE).
Ansätze wie "bimodale PLM / IT" (Gartner, 2016[1]) oder "Digital PLM" (Accenture, 2016) deuten in ähnlicher Weise wie SysML die Notwendigkeit einer Evolution an:
- Von Dokument-basiert zu Modell-basiert.
- Von hierarchischen- (herkömmlichen Stücklisten der Hardware) bis hin zu Netzwerk- (MBSE) und linearen Strukturen (Software).
- Aufteilung der Anwendungsdaten und Metadaten auf Basis eines objektorientierten Repository.
- Von monolithischen zu föderierten und leichtgewichtigen Systemen, die auf referenzierte bzw. verknüpften Daten. Die dazu notwendigen IT-Technologien basieren auf dem objektorientierten Repository und/oder REST.
- Bereitstellung auf unterschiedlichen Cloud-Level (IaaS, PaaS und SaaS[2])
- Unterstützung der typischen Engineering Prozesse wie z.B. Engineering Change Management (ECM) und Configuration Management (CM) für Mechanik, Elektrik / Elektronik und Software.
- Agile Einführung und betriebliche Anpassung durch überwiegend interaktive Konfiguration anstatt durch prozedurales Customizing.
- Automatischer Übernahme aller betrieblicher Anpassungen (Konfiguration und Customizing!) bei Upgrade des Basissystems.
- Neue flexible Geschäftsmodelle auf Basis von Subscriptions anstatt Lizenzen.
Die drei letzten Punkte führen zu einem signifikanten Rückgang der Total Cost of Ownership (TCO). Die anderen Punkte erlauben ein durchgängiges Digitales Modell inklusiv der Ableitung eines Digital Twins sowie intelligente IT-Architekturen für den gesamten Produktlebenszyklus mit intelligenter Funktionsverteilung auf Autorensysteme, TDM und Backbone. Dabei ist auch die zunehmende Intelligenz der Autorensysteme durch direkte Datenbankintegration wie z.B. Onshape (CAD) zukünftig zu beachten (Bilder 1 und 2).
Die Entscheidungen vieler Kunden für Aras in den letzten Monaten (z.B. GM, Schaeffler, Airbus) basierten einerseits auf einer eindeutigen Positionierung auf der Ebene des Engineering Backbone oberhalb der typisch fragmentierten IT-Landschaft mit einer Vielzahl von Autorensystemen – auch für gleiche Funktionen – und Team Data Management Systemen. Andererseits entspricht Aras von seiner Agilität, Flexibilität und Fähigkeit zur Verlinkung von Informationen genau den oben genannten Kriterien für ein bimodales SysLM System.
Die Notwendigkeit eines Konzeptes für eine bimodale IT entstammt u.a. aus der Geschwindigkeit, mit der IT-Tool-Hersteller aber auch Open Source Communities neue Versionen und Produkte von Entwicklungswerkzeugen veröffentlichen. Hier ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen state-of-the-art / best-in-breed Tool-Ansatz und einem vollständig rückverfolgbaren Entwicklungsprozess in einem stabilen, vollintegrierten Engineering IT-Umfeld (best-in-integration). Auf der einen Seite bremsen best-in-integration Ansätze die Innovationskraft sowie die Effizienz der Ingenieure, da sie nicht von neuen, innovativen Entwicklungen im Toolumfeld partizipieren können. Auf der anderen Seite stehen den state-of-the-art Ansätzen ein hoher Administrationsaufwand sowie Sicherheitsbedenken entgegen.
Der SysLM Ansatz muss hierbei eine (langfristig) stabile Basis für systemrelevante Entwicklungsdaten und ihre Beziehung zur bereitstellen. Entwicklungswerkzeuge und TDM‘s müssen über Integrationslösungen koppelbar sein (mittelfristig), aber auch ein manueller Check-Out/Check-In&Merge Ansatz für neue (kurzfristig) und /oder nicht gekoppelte Werkzeuge muss möglich sein.
[1] Gartner (Marc Halpern) zählt Aras und Onshape zu den Bimodalen Systemen (PDT Europe 2016)
[2] IaaS, PaaS und SaaS stehen für Infrastructure, Platform and Software as a Service
[notification type=”alert-info” closebutton=”no” icon=”keep-default”]Prof. Eigner wird zu dem Thema auf dem Aras Community Event am 22. März in Nashville einen Vortrag halten, weitere Infos zum Event und zur Agenda: ACE2017.aras.com [/notification]